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Haager-Visby-Regeln

Die Haager-Visby-Regeln sind ein wesentlicher Bestandteil des internationalen Seefrachtrechts. Sie regeln die Haftung des Reeders für Schäden, Verluste und Verzögerungen und bieten durch Haftungsbegrenzungen Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Im Vergleich zu anderen Regelwerken wie den Hamburger oder Rotterdamer Regeln schützen die Haager-Visby-Regeln stärker die Interessen der Reeder, sind jedoch weniger umfassend (kein multimodaler Ansatz). Ihre Anwendung bleibt auf Konnossement-basierte Seetransporte beschränkt, was sie speziell, aber weniger flexibel macht.

Die Haager-Visby-Regeln: Ãœbersicht, Anwendung und Unterschiede

Die Haager-Visby-Regeln sind internationale Vorschriften für den Seetransport von Gütern. Sie regeln die Rechte und Pflichten von Reedern (Frachtführern) und Ladungsbeteiligten (Verladern und Empfängern) sowie die Haftung bei Verlust oder Beschädigung von Gütern während der Seefracht. Sie wurden ursprünglich 1924 als Haager Regeln verabschiedet und 1968 durch das Protokoll von Visby überarbeitet.


1. Grundlagen der Haager-Visby-Regeln

1.1 Ziel

  • Schutz der Interessen von Verladern und Empfängern.
  • Schaffung einheitlicher Haftungsregeln im internationalen Seeverkehr.

1.2 Geltungsbereich

  • Die Regeln gelten für internationale Seefrachtverträge, wenn:
    • Ein Konnossement (Bill of Lading) ausgestellt wurde.
    • Die Abgangs- oder Ankunftshäfen in einem Vertragsstaat der Haager-Visby-Regeln liegen.

1.3 Vertragsstaaten

  • Die Haager-Visby-Regeln wurden von vielen Ländern ratifiziert, darunter die meisten europäischen Staaten, Kanada und Australien. Die USA wenden stattdessen das US Carriage of Goods by Sea Act (COGSA) an.


2. Wesentliche Inhalte der Haager-Visby-Regeln

2.1 Rechte und Pflichten des Reeders

  1. Sorgfaltspflicht (§ 3 Abs. 1):
    • Der Reeder muss das Schiff vor Antritt der Reise seetüchtig machen, ordnungsgemäß ausrüsten und bemannen.
  2. Ladungssorgfalt (§ 3 Abs. 2):
    • Der Reeder ist verantwortlich für die ordnungsgemäße Verstauung und Sicherung der Ladung.

2.2 Haftung des Reeders

  1. Grundsatz der Haftung (§ 4 Abs. 1):
    • Der Reeder haftet für Verlust oder Beschädigung der Ladung, die während der Seereise auftreten, es sei denn, ein Haftungsausschlussgrund greift.
  2. Haftungsausschlüsse (§ 4 Abs. 2):
    • Höhere Gewalt, Feuer an Bord, Fehler in der Navigation oder unsachgemäße Verpackung durch den Verlader.

2.3 Haftungsbegrenzung

  1. Begrenzung der Haftung (§ 4 Abs. 5):

    • Der Reeder haftet mit maximal:
      • 2 Sonderziehungsrechte (SZR) pro Kilogramm oder
      • 666,67 SZR pro Packstück (je nachdem, welcher Wert höher ist).
    • Sonderziehungsrechte (SZR): Eine Währungseinheit des IWF (1 SZR ≈ 1,22 €).
  2. Beispiel:

    • Eine beschädigte Ladung wiegt 1.000 kg und besteht aus 50 Packstücken.
      • Nach Gewicht: 2 SZR x 1.000 kg = 2.000 SZR.
      • Nach Packstück: 666,67 SZR x 50 = 33.333,50 SZR.
      • Der höhere Betrag (33.333,50 SZR) gilt als maximale Haftung.

2.4 Verjährung

  • Ansprüche aus den Haager-Visby-Regeln verjähren nach 1 Jahr ab Ablieferung oder Fälligkeit der Ablieferung (§ 3 Abs. 6).

2.5 Anwendbarkeit auf Konnossemente

  • Die Regeln gelten nur für Transporte, die durch ein Konnossement dokumentiert sind.


3. Unterschiede zu anderen Regelwerken

3.1 Vergleich zu den Haager Regeln (1924)

Merkmal

Haager Regeln

Haager-Visby-Regeln

Haftungsbegrenzung

Keine Begrenzung pro Kilogramm.

2 SZR/kg oder 666,67 SZR/Packstück.

Geltungsbereich

Nur in Vertragsstaaten mit Ursprungshäfen.

Auch für Empfangshäfen in Vertragsstaaten.

Mehrfachverladung

Nicht explizit geregelt.

Klare Regelungen für Containerladungen.

3.2 Vergleich zu den Hamburger Regeln (1978)

Merkmal

Haager-Visby-Regeln

Hamburger Regeln

Anwendungsbereich

Konnossement erforderlich.

Gilt auch ohne Konnossement.

Haftung des Reeders

Ausschluss bei Navigationsfehlern (§ 4).

Kein Ausschluss bei Navigationsfehlern.

Haftungsbegrenzung

2 SZR/kg oder 666,67 SZR/Packstück.

2,5 SZR/kg oder 835 SZR/Packstück.

Hauptziel

Schutz der Reeder.

Schutz der Verlader und Empfänger.

3.3 Vergleich zu den Rotterdamer Regeln (2008)

Merkmal

Haager-Visby-Regeln

Rotterdamer Regeln

Anwendungsbereich

Nur Seetransport.

Multimodaler Transport (See + Land).

Haftungsdauer

Nur während der Seereise.

"Tür-zu-Tür"-Haftung, einschließlich Vor- und Nachlauf.

Digitalisierung

Keine Berücksichtigung.

Elektronische Transportdokumente erlaubt.

3.4 Vergleich zum CMR (Straßengüterverkehr)

Merkmal

Haager-Visby-Regeln

CMR

Verkehrsträger

See.

Straße.

Haftungsbegrenzung

2 SZR/kg oder 666,67 SZR/Packstück.

8,33 SZR/kg.

Anwendbarkeit

Nur mit Konnossement.

Auch ohne schriftlichen Vertrag.


4. Beispiele zur Anwendung der Haager-Visby-Regeln

Beispiel 1: Beschädigte Containerladung

Ein Container mit 10.000 kg Maschinen wird auf dem Weg von Hamburg nach Singapur beschädigt. Der Container besteht aus 100 Packstücken.

  • Haftungsbegrenzung:
    • Nach Gewicht: 2 SZR x 10.000 kg = 20.000 SZR.
    • Nach Packstück: 666,67 SZR x 100 = 66.667 SZR.
    • Haftungssumme: 66.667 SZR.

Beispiel 2: Verlust durch Navigationsfehler

Ein Frachtschiff läuft aufgrund eines Navigationsfehlers auf Grund, und die Ladung wird beschädigt.

  • Haftung:
    Der Reeder haftet nicht, da Navigationsfehler zu den Haftungsausschlüssen zählen.

Beispiel 3: Ansprüche bei verspäteter Lieferung

Eine Ware wird 15 Tage später geliefert als vereinbart.

  • Anspruch auf Schadensersatz:
    Der Empfänger kann Schadensersatz bis zur Haftungsgrenze (2 SZR/kg) geltend machen, wenn die Verzögerung nachweislich vermeidbar war.

 

 

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